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Mehr Demokratie ertragen?

Für die Baden-Württemberg Stiftung haben Daniel Buhr, Tim Gensheimer und ich zum Demokratie-Monitoring 2016/17 eine qualitative Studie zu politischen Lebenswelten beigesteuert.

Die leitende Frage:

Müssen wir angesichts populistischer Tendenzen und Polarisierungen mehr Demokratie ertragen?

Dabei lag der Schwerpunkt der Analyse erstens auf einer Weiterentwicklung unseres Modells politischer Lebenswelten (vgl. Frankenberger, Buhr und Schmid 2015) und zweitens auf dem Vergleich von AfD-Sympathisanten und Nicht-AfD-SympathisantInnen.

Insgesamt konnte das Modell der Lebenswelten entlang einer Unterscheidung auf der Dimension kritisch-affirmativer /neutraler/ kritisch-aversiver Orientierungen gegenüber dem Politischen System erweitert und verfeinert werden und zum Teil deutliche Unterschiede zwischen den beiden Gruppen herausgearbeitet werden.

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Politische Lebenswelten und der demokratische Diskurs

Die Demokratie ist in der Krise. Zumindest wenn man den mehr oder weniger alarmistischen Feuilletons, Publikationen wie etwa Steven Levitskys und Daniel Ziblatts “Wie Demokratien sterben” Glauben schenken wollen. Und ja, viele Menschen sind mit dem Funktionieren der Demokratie unzufrieden. Mit der Idee der Demokratie hingegen sind sie höchst zufrieden. Nach einer nicht mehr ganz neuen Studie von Oliver Decker et al. (2016) sind 94% der Befragten in Deutschland mit der Idee der Demokratie zufrieden, 75% mit deren Umsetzung in Deutschland und immerhin 53% mit derenFunktionieren. Und der mittelfristige Trend ist vergleichsweise stabil.

Grundsätzlich sind diese Zahlen aus politikwissenschaftlicher Sicht zunächst einmal eher beruhigend denn beunruhigend. Gerade die diffuse Unterstützung für die Idee und die Verfasstheit der Demokratie in Deutschland bewegt sich auf einem Niveau, das im Sinne von Almond und Verba als „hinreichend große Mehrheit“ bewertet werden kann. Die so genannte spezifische Unterstützung – also die Zufriedenheit mit den Ergebnissen, den Outputs der Demokratie – liegt zwar deutlich niedriger, ist aber nur dann problematisch, wenn sich dauerhaft die gleichen Bevölkerungsgruppen als benachteiligt empfinden.

Aber: Die Ideen von Demokratie sind zum Teil sehr disparat, wie verschiedene Studien zeigen (vgl. z.B. Frankenberger, Gensheimer und Buhr 2019; Frankenberger, Buhr und Schmid 2015). Dies relativiert wiederum die vorherige Aussage. Denn wenn Menschen von zum Teil sogar gegensätzlichen Dingen sprechen, wenn sie Demokratie meinen, dann ist das Finden eines Konsenses erschwert. Wir m,üssen also mehr Vielfalt der Demokratieverständnisse ertragen, die von plebiszitären über beteiligungsorientierte bis hin zu repräsentativen, von egalitären bis elitistischen Vorstellungen reichen und nur ein Bestandteil von auseinanderdriftenden politischen Lenenswelten sind.

Dies hat Auswirkungen auf den demokratischen Diskurs. Angesichts der disparaten Vorstellungen von Demokratie und Politik scheint eine Diskurskultur zu fehlen, die die Herstellung der gemeinschaft, eine demokratische Willensbildung und ggf. Entscheidungshilfe, -vorbereitung, -findung im politischen Prozess als zentrale Diskutrsfunktionen ermöglicht.

Wie ordnen wir den Diskurs unter Bedingungen gesellschaftlicher Fragmentierung?

Unter diesen Bedingungen könnte ein politischer Diskurs unter Berücksichtigung einer Reihe von Gesichtspunkten gestaltet werden:

  • Demokratie ≠ Herrschaftsfreiheit: Politischer Diskurs muss beherrscht werden. Es bedarf verbindlicher Regeln für alle! Demokratischer Diskurs braucht einen starken Staat, der die ausgehandelten Regeln des Diskurses durchsetzt.
  • Toleranz ≠ Gleichgültigkeit: Wer gegen die Regeln verstößt, muss sanktioniert werden.
  • Pluralismus ≠ Anything goes: Pluralismus ist unhintergehbar. Wer im Namen von Pluralismus und Toleranz Uniformität und Unterwerfung einfordert, verstößt gegen diesen Grundsatz.
  • Beteiligung ≠ Selbstselektion: Der politische Diskurs muss inklusiv gestaltet werden. Selbstrekrutierung führt zur Verzerrung der Bedeutung von Diskurspositionen.
  • Diskurs ≠ Harmonie: Widersprüche und Konflikte aushalten im Rahmen der Regeln.
  • Diskurs ≠ Durchsetzung eigener Positionen: Austausch und Verständigung anstreben.

Meine Präsentation dazu bei der Tagung “Demokratie in der Europäischen Stadt” hier zum Nachblättern.

Literatur:

  • Decker, Oliver, Johannes Kiess, and Elmar Brähler, eds. Die enthemmte Mitte: autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland: die Leipziger” Mitte-Studie” 2016. Psychosozial-Verlag, 2016.
  • Decker, Oliver, and Elmar Brähler. 2018 “Flucht ins Autoritäre.” Böll-Stiftung.
  • Frankenberger, Rolf, Buhr, Daniel and Tim Gensheimer. 2019. Mehr Demokratie ertragen? Eine lebensweltliche Studie von AfD-Wählerinnen und Wählern.” Demokratie-Monitoring Baden-Württemberg 2016/2017. Springer VS, Wiesbaden, 2019, S. 85-101.
  • Frankenberger, Rolf, Buhr, Daniel und Josef Schmid. 2015. „Politische Lebenswelten. Eine qualitative Studie zu politischen Einstellungen und Beteiligungsorientierungen in ausgewählten Kommunen in Baden-Württemberg.“ In Demokratie-Monitoring Baden-Württemberg 2013/14, Hrsg. Baden-Württemberg Stiftung, 151-221. Wiesbaden: Springer VS.

 

Soziale Milieus – politische und soziale Lebenswelten

Unter diesem Titel ist der neue Buerger im Staat 2-3/2016 soeben erschienen. Das Heft lestet eine Bestandsaufnahme von Modellen der Gesellschaftsanalyse, von deren Erkenntnissen und gesellschaftspolitischen Implikationen. Dabei geht es zum einen um die Frage, wie die Sozialwissenschaften auf gesellschaftliche Realitäten zugreifen. Zum anderen geht es darum, wie sozialwissenschaftliche Erkenntnisse genutzt werden (können), um politische Entscheidungen vorzubereiten.

Beträge von Rainer Geißler zur Sozialstrukturanalyse, Joerg Ueltzhoeffer zu sozialen Milieus in Europa, Stefan Hradil zu sozialer Ungleichheit und Clarissa Rudolph zu sozialen Ungleichheiten im Geschlechterverhältnis werden unter anderem ergänzt durch Artikel, die sich mit dem Schrumpfen der Mittelschicht (Nina-Sophie Fritsch und Roland Verwiebe), verunsicherten Milieus (Judith Niehues), Jugendbeteiligung (Thomas Gensicke), Milieus und soziale Berichterstattung (Silke Mardorf) , politischen Lebenswelten in Baden-Württemberg (Daniel Buhr und Rolf Frankenberger) sowie von Migranten (Haci-Halil Uslucan), die Erlebnisgesellschaft (Sylvia Kämpfer und Michael Mutz), Politik in Zeiten schwindender Stammwähler (Udo Zolleis) und der Erosion sozialer Milieus (Oskar W. Gabriel) sowie der Krise der repräsentativen Demokratie (Oliver Eberl und David Salomon) und der Frage des Problems der Bevölkerung (Rolf Frankenberger).

Lesen Sie hier das komplette Heft als pdf-Datei.

Fachgespräch Partizipation in Baden-Württemberg

Im Rahmen des wissenschaftlichen Fachgesprächs am 2.März 2016  im Staatsministerium Baden-Württemberg wurden drei Studien zu Demokratie und Partizipation einem Fachpublikum aus Ministerien, Verwaltungen, Wissenschaft, Stiftungen und Vereinen vorgestellt und diskutiert. Dabei habe ich die Studie “Politische Lebenswelten” und einige Befunde aus dem Demokratie-Monitoring Baden-Württemberg präsentiert. Die Präsentation Politische Lebenswelten und Partizipation findet sich hier.

Frank Brettschneider (Universitöt Hohenheim) stellte die mit der Bertelsmann-Stiftung zusammen durchgeführte Studie “Partizipative Gesetzgebeungsverfahren – ein Ansatz zur Integration neuer Beteiligungsformen in die repärsentative Demokratie?” vor. In dieser Studie wurde eine Auswahl an Gesetzgebungsverfahren unter dem Aspekt untersucht, welche Wirkungen partizipative online- und offline-Elemente auf den jeweiligen Gesetzgebungsprozess hatten.

Die Studie “Bürgerbeteiligung und Direkte Demokratie in Baden-Württemberg” wurde von Sebastian Fietkau (MZES, Universität Mannheim) vorgellt. Einige weiterführende Informationen zu diesem Projekt finden sich hier.

 

Demokratie-Monitoring Baden Württemberg vorgestellt

Am 06.05.2015 wurden die Ergebnisse des Demokratie-Monitoring Baden-Württemberg 2013/14 im Landtag der interessierten Öffentlichkeit und den Abgeordneten des Landtags vorgestellt.

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(c)kdbusch; Baden-Württemberg Stiftung

Im Auftrag der Baden-Württemberg Stiftung hatten Forscherteams der Universitäten Tübingen, Freiburg, Mannheim und Stuttgart die “Qualität” der Demokratie untersucht. In der Eröffnungsrede betonte Landtagspräsident Wilfried Klenk MdL die Bedeutung aktiver Bürgerinnen und Bürger für die Qualität der Demokratie. Und die Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung Gisela Erler verwies auf die Notwendigkeit, die Demokratie nicht nur zu vitalisieren, sondern auch regelmäßig ihren Entwicklungsstand zu prüfen.

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©kdbusch; Baden-Württemberg Stiftung

 In der von Daniel Buhr, Josef Schmid und mir durchgeführten Tübinger Teilstudie wurden insgesamt 275 Personen nach lebensweltlichen Bezügen und Mustern politischer Interessen, Orientierungs- und Handlungsmuster gefragt. Und es wurde untersucht, welche Auswirkungen diese auf Demokratie, Demokratiebewertung und die politische Beteiligung haben. Die Interviews dauerten zwischen 12 Minuten und zwei Stunden. Bei der Auswahl der Gesprächspartner wurden sowohl regional-siedlungsräumliche als auch sozio-demographische Kriterien berücksichtigt, um größtmögliche Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse zu erreichen.

Die Studie bestätigt die These einer Pluralisierung politischer Lebenswelten. Es finden sich insgesamt sieben Lebenswelten, die sich in drei unterschiedliche Gruppen zusammenfassen lassen:

  • Unpolitische und Distanzierte bilden die politikfernen Lebenswelten.
  • Gemeinwohlorientierte, Elektorale und Macher sind drei zentrale delegative Lebenswelten.
  • Mitgestalter und Mitbestimmer konstituieren die partizipatorischen Lebenswelten.

Wie Abbildung 1 zeigt, unterscheiden sich diese Lebenswelten nicht nur im Verständnis von Demokratie und Politik, sondern auch hinsichtlich der Partizipationsniveaus und -formen. Und sie sind unterschiedlich häufig zu finden, wie die Größe der jeweiligen Ellipsen zeigt. Die Muster verweisen auf den dominanten Partizipationsmodus im Falle von Partizipation. Diagonale Muster verweisen auf soziale Partizipation, Karos repräsentieren politische Partizipation und Punkte kombinierte soziale und politische Partizipation. Partizipation kann dann in unterschiedlicher Kombination hinsichtlich der Formen und Themen auftreten.

Abbildung 1: Politische Lebenswelten

politische Lebenswelten

(c) Frankenberger, Buhr, Schmid

Da diese Lebenswelten sich nicht eindeutig über sozio-demographische oder sozio-ökonomische Variablen (z.B. Schicht) oder alltagsästhetische Segmentierungen (Milieus) fassen lassen, bietet die vorliegende Typologie ein erhebliches Potential für gezielte Politikberatung und die Gestaltung partizipativer Verfahren. Denn mit den identifizierten Idealtypen werden wichtige Vorstellungswelten und Handlungsmuster aus der Mitte der Gesellschaft kartiert.

(c)kdbusch; Baden-Württemberg Stiftung

(c)kdbusch; Baden-Württemberg Stiftung

Vor dem Hintergrund der unterschiedlich differenzierten alltagsweltlichen Vorstellungen von und Einstellungen zu Politik und Demokratie stellt sich erneut die Frage: Wie kann die Qualität der Demokratie verbessert werden?

  • Ganz zentral erscheint es, die Kenntnisse über Funktionsweisen und Zuständigkeiten im politischen System zu stärken – Stichwort Demokratieunterricht
  • Möglichkeiten zum Einüben demokratischer Praxis bieten, die auf den Lebensweltlichen Hintergrund zugeschnitten sind.
  • Mehr und unterschiedlichere Formen von Partizipationsmöglichkeiten wären dabei ein Weg.
  • Die systematische Kombination von repräsentativen und partizipatorischen Elementen ein anderer.
  • Nicht zuletzt sollte Politik wieder näher zu den Bürgerinnen und Bürgern gebracht werden sowie Individuelle UND gemeinwohlorientierte Bezüge gestärkt werden.

Literatur:


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