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Politische Lebenswelten und der demokratische Diskurs

Die Demokratie ist in der Krise. Zumindest wenn man den mehr oder weniger alarmistischen Feuilletons, Publikationen wie etwa Steven Levitskys und Daniel Ziblatts “Wie Demokratien sterben” Glauben schenken wollen. Und ja, viele Menschen sind mit dem Funktionieren der Demokratie unzufrieden. Mit der Idee der Demokratie hingegen sind sie höchst zufrieden. Nach einer nicht mehr ganz neuen Studie von Oliver Decker et al. (2016) sind 94% der Befragten in Deutschland mit der Idee der Demokratie zufrieden, 75% mit deren Umsetzung in Deutschland und immerhin 53% mit derenFunktionieren. Und der mittelfristige Trend ist vergleichsweise stabil.

Grundsätzlich sind diese Zahlen aus politikwissenschaftlicher Sicht zunächst einmal eher beruhigend denn beunruhigend. Gerade die diffuse Unterstützung für die Idee und die Verfasstheit der Demokratie in Deutschland bewegt sich auf einem Niveau, das im Sinne von Almond und Verba als „hinreichend große Mehrheit“ bewertet werden kann. Die so genannte spezifische Unterstützung – also die Zufriedenheit mit den Ergebnissen, den Outputs der Demokratie – liegt zwar deutlich niedriger, ist aber nur dann problematisch, wenn sich dauerhaft die gleichen Bevölkerungsgruppen als benachteiligt empfinden.

Aber: Die Ideen von Demokratie sind zum Teil sehr disparat, wie verschiedene Studien zeigen (vgl. z.B. Frankenberger, Gensheimer und Buhr 2019; Frankenberger, Buhr und Schmid 2015). Dies relativiert wiederum die vorherige Aussage. Denn wenn Menschen von zum Teil sogar gegensätzlichen Dingen sprechen, wenn sie Demokratie meinen, dann ist das Finden eines Konsenses erschwert. Wir m,üssen also mehr Vielfalt der Demokratieverständnisse ertragen, die von plebiszitären über beteiligungsorientierte bis hin zu repräsentativen, von egalitären bis elitistischen Vorstellungen reichen und nur ein Bestandteil von auseinanderdriftenden politischen Lenenswelten sind.

Dies hat Auswirkungen auf den demokratischen Diskurs. Angesichts der disparaten Vorstellungen von Demokratie und Politik scheint eine Diskurskultur zu fehlen, die die Herstellung der gemeinschaft, eine demokratische Willensbildung und ggf. Entscheidungshilfe, -vorbereitung, -findung im politischen Prozess als zentrale Diskutrsfunktionen ermöglicht.

Wie ordnen wir den Diskurs unter Bedingungen gesellschaftlicher Fragmentierung?

Unter diesen Bedingungen könnte ein politischer Diskurs unter Berücksichtigung einer Reihe von Gesichtspunkten gestaltet werden:

  • Demokratie ≠ Herrschaftsfreiheit: Politischer Diskurs muss beherrscht werden. Es bedarf verbindlicher Regeln für alle! Demokratischer Diskurs braucht einen starken Staat, der die ausgehandelten Regeln des Diskurses durchsetzt.
  • Toleranz ≠ Gleichgültigkeit: Wer gegen die Regeln verstößt, muss sanktioniert werden.
  • Pluralismus ≠ Anything goes: Pluralismus ist unhintergehbar. Wer im Namen von Pluralismus und Toleranz Uniformität und Unterwerfung einfordert, verstößt gegen diesen Grundsatz.
  • Beteiligung ≠ Selbstselektion: Der politische Diskurs muss inklusiv gestaltet werden. Selbstrekrutierung führt zur Verzerrung der Bedeutung von Diskurspositionen.
  • Diskurs ≠ Harmonie: Widersprüche und Konflikte aushalten im Rahmen der Regeln.
  • Diskurs ≠ Durchsetzung eigener Positionen: Austausch und Verständigung anstreben.

Meine Präsentation dazu bei der Tagung “Demokratie in der Europäischen Stadt” hier zum Nachblättern.

Literatur:

  • Decker, Oliver, Johannes Kiess, and Elmar Brähler, eds. Die enthemmte Mitte: autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland: die Leipziger” Mitte-Studie” 2016. Psychosozial-Verlag, 2016.
  • Decker, Oliver, and Elmar Brähler. 2018 “Flucht ins Autoritäre.” Böll-Stiftung.
  • Frankenberger, Rolf, Buhr, Daniel and Tim Gensheimer. 2019. Mehr Demokratie ertragen? Eine lebensweltliche Studie von AfD-Wählerinnen und Wählern.” Demokratie-Monitoring Baden-Württemberg 2016/2017. Springer VS, Wiesbaden, 2019, S. 85-101.
  • Frankenberger, Rolf, Buhr, Daniel und Josef Schmid. 2015. „Politische Lebenswelten. Eine qualitative Studie zu politischen Einstellungen und Beteiligungsorientierungen in ausgewählten Kommunen in Baden-Württemberg.“ In Demokratie-Monitoring Baden-Württemberg 2013/14, Hrsg. Baden-Württemberg Stiftung, 151-221. Wiesbaden: Springer VS.

 

Ein Pakt für Urbane Demokratie

Unter dem Titel “Demokratie in der Europäischen Stadt” fand am 19.März in Mannheim eine Tagung zu Perspektiven der integrierten Quartiersentwicklung statt. Zusammen mit der Wüstenrot Stiftung, der Stadt Mannheim, dem Städtetag Baden-Württemberg und dem Initiativkreis Mannheimer Appell diskutierten PraktikerInnen aus Städten, Verwaltungen und Ministerien und WissenschaftlerInnen aus Deutschland und Frankreich Strategien des Umgangs mit so genannten “Problemquartieren”.

Die Abschlusserklärung “Ein Pakt für urbane Demokratie” fordert einen “agilen Staat”, der unter Nutzung neuer Kommunikationsformen mit Chancen auch zur punktuellen Partizipation rasch reagiert. Denn Staat und Stadt müssen angesichts der vielfältigen Herausforderungen in “Vielfaltsquartieren” und dem Auseinanderdriften der Lebensverhältnisse in diesen Quartieren gemeinsam vor Ort erlebbar, präsent, schwerpunktbildend, zielgenau und beteiligend auf neue Art zusammenwirken und demojkratische Spielregeln sichern.

Dies bedeutet eine neue, projektorientierte Herangehensweise in Form von Entwicklungskooperationen von Kommunen, Ländern und Bund, wie diese etwa in Frankreich im Rahmen des Pakt von Dijon festgelegt wurden. Partnerschaftliche Entwicklungsverträge können ein Weg für diese neue Herangehensweise sein. Sie umfassen lokal gebündelte Lösungen für die zentralen Handlungsfelder wie etwa Wohnungsmarkt, Arbeitsplatzwandel, Migration und Integration, Ökologie, Bildungsungleichheit und Sicherheit. Dies erfordert die Präsenz und das Engagement aller politischen Ebenen auch jenseits fiskalischer Mittel.

Gerade auch vor dem Hintergrund des Auseinanderdriftens der Verständnisse von Politik und Demokratie muss das gemeinwesen, das demokratische Miteinander gestärkt werden, müssen auch demokratische Normen und Regeln implementiert werden. Nur unter diesen Voraussetzungen kann urbane Demokratie gelingen.

 

Den Blick für die Demokratie schärfen!

Für eine aktive Stadt- und Quartierspolitik mit einem handlungsfähigen, gestaltenden Staat und einer glaubwürdigen Bürgerbeteiligung.

Dafür plädiert der Appell von Mannheim, der im Mai 2018 auf Initiative von Dr. Konrad Hummel von Vertretern aus Kommunen, Politik, Verwaltungen, Stiftungen, Kunst und Wissenschaft diskutiert und formuliert wurde. Der Appell möchte das Bewusstsein für die Herausforderungen der (lokalen) Demokratie in Städten und Gemeinden schärfen und zur Diskussion über die demokratische Stadt der Zukunft beitragen.

Denn sowohl im demokratischen Diskurs wie in der Förderung sozialer Räume kann ein „Weiter So“ oder eine einfache  Mittelaufstockung  den Notwendigkeiten der heutigen Situation nicht gerecht werden, ja es kann Ungleichheiten und Enttäuschungen sogar verstärken. Darum gilt neu: Vertrauensbildung und aktives Bemühen um erfahrene Gerechtigkeit im sozialen Raum.

Darin liegt der Kern des Appells. Statt mehr vom Gleichen gilt es, sich die Mühe zu machen, dem gesellschaftlichen Wandel gerecht zu werden und  strukturelle Verwerfungen im Diskurs und praktisch anzugehen. Dies mit einem entschlosseneren Staat, dessen Merkmale vor Ort Ermöglichung und Wertesicherung für alle sind.  Im Gegensatz zur reinen Aufrechterhaltung oder Herstellung innerer Ordnungen, so sie die heutige Gesellschaft und vor  allem Stadtgesellschaften teilen. Das Verständnis eines aktiven sozialen Rechtsstaates, der nicht nur Individualinteressen sichert, sondern Chancen für alle gewährleistet, knüpft an den sozialen Zusammenhalt an, der diese Republik starkgemacht hat.

Die Quartiere unserer Städte sind einer der zentralen Spiegel dieser Entwicklung, an denen absehbar ist, ob uns dies gelingt oder nicht. Hier werden Generations-Zuwanderungs-Klima- oder Arbeitsmarktfragen konkret erlebt und müssen gelöst werden.  Stadtentwicklung steht in der Gefahr, Quartiere dafür unterschiedlich in die Pflicht zu nehmen.

Es geht um mehr als um Stadtsanierung oder Quartiersverbesserung, es geht um mehr als Kommunalpolitik, es geht um einen Lackmustest der Demokratie insgesamt. Und es ist keine „nationale Frage“  sondern betrifft uns in ganz Europa und in unserer europäischen Wertegemeinschaft (vgl. die französische Initiative  von Dijon).

Der Appell fordert:

  •  Die Politik muss einen handlungsfähigen, wertorientierten  Staat und seine Institutionen deutlich stärken, zugunsten eines erweiterten Freiheitsbegriffes nicht zugunsten der Herstellung von Ordnung an sich.
  • Auf der Grundlage eines ermöglichenden Staates muss sich Politik der territorialen Spaltung und Ungleichheit in  unseren europäischen Gesellschaften annehmen mit mehr als den bisherigen regionalen Ausgleichs- und baulichen Fördermitteln.
  • Zur Flexibilität gehören sichtbare, interimistische, spürbare Verbesserungen und Problemlösungen in der Stadtentwicklung.
  • Weiterer Schwerpunkt ist eine Bildungsoffensive, die mehr als den Rechtsanspruch auf Ganztagesschulen realisiert.

Der  Appell von Mannheim zum Download als pdf und im Wortlaut zum weiterlesen:

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