Bei der gemeinsamen Konferenz der International Political Science Association (IPSA) und dem European Consortium on Political Research (ECPR) vom 16.-19-Februar 2011 in Sao Paulo, Brasilien organisierten Daniel Buhr und Rolf Frankenberger ein Panel und hielten zwei Vorträge.
Ausgangspunkt des von Daniel Buhr und Rolf Frankenberger geleiteten Panels „Bad Guys, Good Governance? Political Economies of Autocracies“ war die immer wieder diskutierte These Ronald Wintrobes: „Autocracies have a greater capacity for action, good or bad“ (Wintrobe 1998:338). Damit rückte die Frage nach Mechanismen von Koordination, Regulation und Steuerungsleistungen an der Schnittstelle von Politik, Ökonomie und Gesellschaft ins Zentrum des Interesses der politischen Ökonomie. Genau hier setzten auch die Beiträge des Panels aus ganz unterschiedlichen Perspektiven an.
In ihrem stark theoretisch-konzeptionell ausgerichteten Beitrag „Varieties of (incorporated) capitalism” brachten Daniel Buhr und Rolf Frankenberger zwei zentrale Forschungsrichtungen zusammen, um sich den Governance-Mustern in Autokratien zu nähern. Dabei argumentierten sie, dass Autokratien spezifische Governance-Modi entwickeln, um eine für die Vermeidung von Gewaltanwendung ausreichend hohe ökonomische Performanz zur Herrschaftssicherung zu erzielen. Autokratien tendierten dazu, die ihnen zur Verfügung stehenden Rohstoffe und Produkte über den Wettbewerb an den internationalen Märkten zur Wohlfahrtsmaximierung zu nutzen. Dabei sei die kapitalistische Perspektive im Unterschied zu anderen, demokratischen Systemen eine ausschließlich externe, während nach innen durch Kooptation und Zwang kompetitive Vorteile generiert würden. Aus dieser Perspektive werde die Maximierung von Einkommen zur Wohlfahrtsfunktion und Staaten ähnelten so Unternehmen. Durch diese Erweiterung des traditionellen Varieties of Capitalism-Ansatzes von Hall und Soskice um Kapitalismen in autokratischen Systemen werde es möglich, eine weitere Welt des Kapitalismus zu konzeptionalisieren. Der Typus des Inkorporierten Kapitalismus operiere nach innen durch bürokratische oder patrimoniale Governance-Modi (Kooptation von Unternehmen durch den Staat), während er nach außen hoch kompetitiv agiere, um ein Maximum an privaten und öffentlichen Gütern zu generieren.
Krister Lundell von der Åbo Akademi University in Helsinki beschäftigte sich in seinem Vortrag “Autocratic Stability and Democratization“ mit den Bedingungen autoritärer Stabilität und demokratischer Perspektiven. Dabei berücksichtigte er in seinem Vergleich von 39 stabilen und 38 ehemaligen Autokratien insbesondere Governance-Faktoren und ökonomische Performanz dieser Regime. Dabei konnte hinsichtlich des Entwicklungsstands kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen nachgewiesen werden. Dies spreche, so Lundell einerseits dafür, dass auch Autokratien einen gewissen Modernisierungsgrad aufweisen müssten, um stabil zu sein und widerlege andererseits das modernisierungstheoretische Mantra, Entwicklung führe automatisch zu Demokratisierung. In Bezug auf ökonomische Freiheit konnte er für ehemalige Autokratien einen höheren Wert nachweisen, was zwar für einen höheren Grad an internem Kapitalismus spricht, aber offensichtlich keine Auswirkungen auf die Gesamtperformanz der jeweiligen Ökonomien hat. Dies deutet darauf hin, dass in beiden Gruppen unterschiedliche Steuerungsmechanismen und Governance-Muster exisitieren, die jedoch ähnlich performant sind.
Unter dem Titel “The Political Economy of Social Violence” stellten Kristian Hoelscher von der Unviersität Oslo und Sean Fox von der London School of Economics and Political Science die Ergebnisse einer Querschnittuntersuchung zum Zusammenhang zwischen Regimetypen und sozialer Gewalt vor. Trotz nicht immer befriedigender Datenlage und diskutabler Auswahl und Operationalisierung der unabhängigen Variablen konnten sie eindrucksvoll aufzeigen, dass insbesondere solche Regime anfällig für soziale Gewalt sind, die sich in der Grauzone zwischen Demokratien und Autokratien bewegen. Interessanterweise waren es die o genannten „partial democracies“, die am meisten von sozialer Gewalt betroffen sind, während konsolidierte Demokratien und Autokratien mit deutlich geringeren Ausmaßen sozialer Gewalt, gemessen an Morden pro 100000 Einwohnern, zu kämpfen haben. Die Ergebnisse der Studie weisen auf einen engen Zusammenhang zwischen Regimetyp, Armut, Ungleichheit, ethnischer Fraktionalisierung und sozialer Gewalt hin, deren kausales Verhältnis, so die Autoren, nun weiter untersucht werden müsse. Es gebe jedoch deutliche Hinweise, dass schwache Insitutionalisierung und unsichere Entwicklungsperspektiven wichtige Erklärungsfaktoren seien. Diese Befunde stützen zumindest teilweise die These Wintrobes und zeigen deutlich, dass Autokratien auch enorme soziale Steuerungsleistungen erbringen können.
Zwei Kurzpräsentationen ergänzten das Panel um weitere inhaltliche Dimensionen. Steffen Jenner, Mathias Gabel (Universität Tübingen), Stephan Schindele (ESB Business School Reutlingen) und Gabriel Chan (Harvard University) untersuchten anhand der stetig mehr Energie benötigenden BRIC-Staaten, inwieweit ein Zusammenhang zwischen Governance-Modi und der Angebotssicherung von Energie existiert. Bei der Analyse zeigte sich, dass in beiden Autokratien – Russland und China – eine starke räumliche Ballung der Energieproduktion zu finden ist. Darüber hinaus kontrollierten Russland 96 und China 100 Prozent der nationalen Energienetze. Im Gegensatz dazu sei das indische Staatssystem (48%) mit starker privater Konkurrenz konfrontiert, während in Brasilien 64% der urbanen Versorgung staatlich sein und ansonsten lokale, dezentralisierte Netze dominierten. Damit sei der Befund eindeutig: In Autokratien findet sich stärkere Konzentration und umfassende staatliche Kontrolle des Energiesektors und damit ein distinkter Governance-Modus, kurz: „Power is nothing without control“. Dieser Befund lässt sich indirekt auch auf die Inkorporation von Innovationssystemen in Autokratien bestätigen, wie Patricia Graf von der Universität Potsdam am Beispiel Mexikos unter der Partido Revolucionario Institucional (PRI) aufzeigte. Die Inkorporation des Innovationssystem könne als ein Musterbeispiel sektoraler Herrschaftsstabilisierung und Legitimierung gelten, habe es sowohl eine langfristige als auch sehr breite Wirkung entfaltet. Dies sei insbesondere durch die Einbindung aller relevanten Akteure aus Wissenschaft, Gewerkschaften und Bauernverbänden sowie der Schaffung von Institutionen bei gleichzeitiger Verhinderung horizontaler Netzwerke geschehen. Letztlich, so Graf, sei dieses System auch nach der Demokratisierung Mexikos persistent und perpetuiere so autoritäre Governance-Modi.
In der anschließenden Diskussion wurde deutlich, dass sowohl die konzeptionellen Überlegungen als auch die empirischen Befunde fruchtbare Perspektiven zur Erforschung politischer Ökonomien von und in Autokratien eröffnen. Es wurde auch diskutiert, dass es weiteren Bedarf an empirischer und dabei insbesondere auch qualitativer Forschung gibt, es aber auch konzeptioneller Verfeinerung bedarf, um „Good Governance in Bad Worlds“ präziser zu fassen. Dabei wurde unter anderem eine schlüssige Konzeptionalisierung und Unterscheidung von Autokratietypeneingefordert, um unterschiedliche Governance-Modi klarer fassen zu können. Wie so oft gilt auch hier: Further research needs to be done!
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